Beitrag im neu erschienenen Sammelband "Spiritualität der Zukunft"
Mein erster „Pfadmoment“ oder soll ich es „Gotteserfahrung“ nennen oder „Satori“, während eines 10-Tage-Meditationsretreats 1984 im Kloster „Brahma Vihara“ mit der Ehrwürdigen Ayya Khema auf der Insel Bali, veränderte mein Leben zutiefst.
Wie konnte es sein, dass DAS während meiner allerersten Begegnung mit Buddhismus und Meditation in meinem allerersten Retreat passieren konnte?
Was waren die Bedingungen, was war mein Zugang?
Unmittelbar ging diesem Moment eine Frage voraus, die mich am sechsten Tag des Retreats in Zweifel über die bis dahin so wunderbar klare Lehre des Buddha, vermittelt durch die Theravadanonne Ayya Khema, stürzte: „Was ist das Höchste?“ – die „Leere“, das „Nichts“ (nibbana) oder ist die in mir auftauchende Erinnerung an die christlichen Worte wahr: „Das Höchste ist die Liebe“?
Der Zweifel zerstörte meine Bemühungen zur Verwirklichung der „Geistesstille“. Die entfachte, aufgewühlte, glühende Energie verselbständigte sich und trieb meine Denkkraft bis an den Punkt, man könnte auch sagen bis an den Rand der Verzweiflung, an dem das momentane Erkennen hochkam, dass im Denken keine Antwort möglich ist.
Mein letzter Gedanke war verbunden mit dem Bild von Jesus Christus: „Aber wenn ich wählen müsste … ich würde die Liebe wählen“ – damit geschah „ES“….Jesus Christus wurde in einem Moment mein „Sadguru“.
Der Glaube und die Hingabe im personifizierten Gedanken an Jesus Christus, als das Bild des absolut Glaub- und Vertrauenswürdigen war das „Wort“, das „Mantra“, als der auslösende Faktor für das große Loslassen, für die momentane, vollkommene Selbsthingabe. Dem momentanen „Nicht-Sein“ folgte das „Aufwachen“, die „Auferstehung“, der „Fruchtmoment“.
Meine Worte der Erklärung, an Ayya Khema gerichtet, waren: „Nibbana = Liebe“. Nichtsein und Sein wurden in Gestalt von Buddha und Christus die eine Wahrheit im namen- und formlosen Grund meines Seins. Was für eine erstaunliche Konstellation, was für ein Fingerzeig: Da wurde ich als Christ, unterwiesen von einer Jüdin (Ayya Khema), in einem islamischen Staat (Indonesien) auf einer vom Hinduismus geprägten Insel (Bali) durch die Lehren des Buddha in den universellen Weg der „Weisheit des Herzens“ geboren.
Wenn ich heute über den zeitlichen Weg in diesen Moment sprechen wollte, müsste ich über die vielen „karmischen“ Zusammenhänge sprechen, die ich in der Rückschau erkennen konnte. Als das Entscheidende konnte ich den brennenden Wunsch nach Wahrheit erkennen, der durch die Belehrungen erweckt wurde, jedoch immer schon in mir schlummerte.
Heute erkläre ich als Dharmalehrer, dass die Kraft hinter jeder Methode das wichtigste ist: Du musst ES wirklich wollen, wie immer du dein Ziel benennst, welche Methoden du auch praktizierst. Der „Rechte Wille“ mündet jedoch in das „Nicht-Tun“ und zielt auf Selbsthingabe, auf das Loslassen aller persönlichen, vom Verstand erdachten Konzepte, Meinungen, Ansichten und Glaubensvorstellungen, auf das Loslassen des Eigenwillens, der Selbstbehauptung.
Als ich 2003 im ehemaligen Augustinerkloster Messelhausen einen Vipassanakurs gab, habe ich diesen wunderbaren Satz von Augustinus entdeckt: „Der Preis der Liebe bist du selbst“.
Im Verständnis erkläre ich die universelle Liebe als die stille Wahrheit des Einsseins mit dir selbst und allem Leben. In motivierenden Worten: „Erlebe und wach auf in der Wahrheit der reinen allumfassenden „göttlichen Liebe“ in dir selbst, im ungestalteten, leeren Grund deines Seins, der keinen Ort hat: Du bist DAS“.
Ayya blieb bis zu ihrem Tod 1997 meine einzige Lehrerin. In tiefer Dankbarkeit denke ich an ihre einzigartige Begleitung meiner spirituellen Entwicklung in edler Freundschaft von Herz zu Herz.
In einer sechsjährigen, intensiven Zeit der Integration, der meditativen Geistesschulung und weiterer heilender, oft stürmischer innerer Prozesse in den 80er Jahren begleiteten mich Studien nicht nur der Buddhistischen Lehren, sondern auch die Einsichten und Lehren christlicher Mystiker und Mystikerinnen.
Im Entstehungsjahr des Meditationszentrums Buddha-Haus Allgäu 1989 lebte ich dort für ein Jahr als Mitglied der Buddha-Haus-Gemeinschaft zusammen mit Ayya Khema. Diese Zeit des selbstlosen Dienens ließ mich zutiefst die heilende und bewusstseinserweiternde Wirkung des Wegs der pragmatischen Selbsthingabe im Hier und Jetzt erfahren.
Als Familienvater begann 1990 mein Weg mitten in der Welt. Es war mir eine Freude, als Tennistrainer und Coach mit dem Hintergrund buddhistischer Geistesschulung zur Persönlichkeitsentwicklung besonders bei Kindern und Jugendlichen beitragen zu können, um selbst dabei in allen Erfahrungen zu lernen und zu wachsen.
1994 autorisierte mich Ayya Khema, als Dharmalehrer im neu gegründeten Buddha Haus München zu wirken, dessen spiritueller Leiter ich heute bin.
Anfänglich gründete ich meine Vermittlung und Begleitung in den traditionellen Konzepten und Meditationsmethoden des Theravadabuddhismus. Im Laufe der Zeit wurden meine Darlegungen immer undogmatischer und vor allem immer pragmatischer.
Eine kleine Geschichte dazu: In einem Feuerritual an einem Silvesterabend eines 7-tägigen „Still ins Neue Jahr“ Retreats warfen alle Teilnehmer ein Papier in das Neujahrsfeuer, auf dem etwas geschrieben war, was „verbrennen“ sollte. Zum Beispiel eine unheilsame Eigenschaft oder Lebensgewohnheit. Außerdem sollte sich die frei werdende Energie in etwas pragmatisch Heilsames verwandeln – in was? Auf die neugierige Frage, was ich denn wohl verbrannt hätte, antwortete ich: „Ich habe den Buddhismus verbrannt und lehre jetzt Dharma.“
Auf die Frage, was denn der Unterschied wäre, antwortete ich „Buddhismus ist für den Kopf, der Dharma für das Herz“.
Mir selbst wurde die Bedeutung der unmittelbaren Vermittlung „von Herz zu Herz“ bewusst, zugleich das Verstehen, dass alle Meditationsmethoden und Praxisformen, unabhängig vom religiösen oder kulturellen Hintergrund, auf das Erleben und Erkennen der Bedeutung „Vom Kopf ins Herz“ zielen. Es ist ein erstes und dann zu übendes „Aufwachen“ in den WEG des einfachen „reinen, gegenwärtigen bewussten Seins im Herzen.“
Der Schlüssel, ein Moment des „Loslassens“, ist ein Moment der Hingabe. Und die Hingabe braucht Vertrauen. Das Vertrauenswürdige, das die Kraft der Hingabe, bzw des Glaubens, erweckt, kann ein Gedanke an Christus oder Buddha, an Gott oder Allah sein, oder auch ein Wort eines lebenden Lehrers, der in „Edler Freundschaft“ von Herz zu Herz vermittelt.
Es kann auch der Duft einer Blume sein, die Melodie eines Liedes, der Anblick einer Muschel, die Berührung eines Windhauchs. Es ist immer ein Moment der Hingabe im „Hier und Jetzt“ in Einheit mit dem Leben selbst, der die Liebeskraft erweckt. Daher, im Kontext von Ursache und Wirkung: Ohne Vertrauen keine Hingabe, ohne Hingabe keine Liebe, ohne Liebe kein Weg.
Heute stelle ich meinen Hörern die Frage: Was genau ist diese „Achtsamkeitspraxis“, die man im Buddhismus als das Zentrum, als das „Herz der Meditation“ erklärt.
Nun, es braucht die Erfahrung und das Erkennen, dass die anfänglichen Übungen des achtsamen Beobachtens der körperlich-geistigen Vorgänge anstrengend sind, solange die Achtsamkeit „im Kopf“ ist, also der Denker „der Chef“ ist.
Erst wenn sich die „Achtsamkeit“ vom Kopf ins Herz verlagert, zu einem bewussten „bei dir im Herzen Sein“, bist du im Weg, in deiner Wahrheit, im Leben, im Jetzt.
Erst wenn du im Herzen bist, wird dein Verstand zum Diener der Weisheit des Herzens. Erst dann beginnt „Vipassana“ - ein neues Erkennen und Verstehen deiner Selbst und eine neue Sicht der Welt und ihrer Gesetze.
Wenn du „im Herzen bist“, bist du in deiner Wahrheit - immer Jetzt -, erkennst und agierst du aus deinem „Herz-Geist“. Das Sanskritwort „Sat“ verändert sich von der praktischen Bedeutung „Sei Achtsamkeit“ in „Sei in deiner Wahrheit“. Dann bist du „im Weg“ in die Reinheit des grenzenlosen Seins, das keinen Ort hat.
„Im Herzen Sein, Zuhause Sein – wenn du im Herzen bist, bist du überall auf dieser Welt zuhause – ja sogar im ganzen Universum“, waren einfache Worte von Ayya Khema, die in einem Moment die Herzen der Hörer berühren konnte, um sie für das Fühlen der Wahrheit zu öffnen, für den inneren Lehrer, für die universelle „Weisheit des Herzens“.
Wahre Worte sind also „Türöffner“. In allen spirituellen Traditionen werden „heilige Worte“ rezitiert, finden Ausdruck in Gedichten, entfalten jedoch vor allem gesungen, in Verbindung mit spiritueller Musik, eine besondere Wirkung.
Für meinen Zugang in die Welt des Mantra-Chantings gibt es eine kleine persönliche „mystische“ Geschichte: 1972, auf meiner ersten großen Reise, bestieg ich als 19-jähriger Hippie zusammen mit einem Freund in Istanbul den bunt bemalten „Magic Bus“, das Original einer gerade sich aufbauenden Buslinie von London, Amsterdam, München, Salzburg bis nach Katmandu/Nepal über Jugoslawien, Griechenland, Türkei, Persien, Afghanistan, Pakistan und Indien. In Delhi war ein längerer Aufenthalt geplant, so dass wir zusammen mit einem Engländer einen Bus Richtung Norden nahmen. George bemerkte an einer Zugstation so nebenbei „right over there is Rishikesh“, was in mir den Gedanken auslöste: „Da waren doch die Beatles, warum steigen wir denn nicht aus?“ In mir erschien dabei die Vision einer Frau, die mitten auf einem bevölkerten Marktplatz vor einem bärtigen, orange gekleideten Swami saß und plötzlich entstanden in mir die Worte: „Jetzt noch nicht“. Seit der Zeit war in mir verankert, dass ich irgendwann nach Rishikesh „muss“. Ist das die Magie der „inneren Führung“?
Es war im Jahr 2005, als ich auf meiner zweiten, von diesem Gedanken geführten Indienreise im Phoolchatti Ashram in Rishikesh (1) ankam und dort einen wunderbaren Ort für eine „Zeit für mich selbst“ vorfand, um mein Stilles Sein mit Yogapraxis zu verbinden.
Die tägliche Tempelpuja mit Mantra- und Kirtansingen, das Erleben, wie Bhakti - die Hingabe und Liebe zum Höchsten - in den Herzen der Yogaübenden erweckt wurde, inspirierte mich mehr und mehr dazu, das Mantra-Chanting in meine Samatha-Vipassana-Retreats zu integrieren.
Das war nicht so selbstverständlich, denn die Gesänge erinnerten mich anfänglich an die durch die Fußgängerzone in München mit etwas verrückt leuchtenden Augen tanzende und die Bhagavad Gita (2) verteilende Hare Krishna Bewegung Anfang der 70er Jahre. Es erinnerte an Berichte über die Abhängigkeit junger Menschen in „Jugendsekten“. Gesungenes Mantra-Chanting war für mich immer „Kindergarten“, der dann zweifelhaft wird, wenn er verbunden mit blindem Vertrauen zu blinder Hingabe und somit zu blinder Liebe führt, mit der Gefahr der Abhängigkeit, Hörigkeit und des Fanatismus.
Nun – meine persönliche Verbindung zur Musik war schon als Kind sehr leidenschaftlich. „Du hast schon im Kinderwagen immer begeistert gesungen“. Ich sang im Schulchor Choräle wie „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“, oder „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“. Besonders in Erinnerung blieben jedoch meine Erfahrungen als 11-jähriger Ministrant, als ich eine Woche lang Vorbeter der Rosenkranzgebete in Maiandachten war. Immer musste ich widerwillig nachmittags vom Fußballpatz in die Kirche, um dann beseelt, in innerem Glück und Frieden wieder nach Hause zu gehen. Es hat mir allerdings niemand gesagt, dass das auch der Sinn des Rosenkranzbetens ist.
Der Ministrant mutierte nach seiner Pubertät naturgemäß zum Hippie, griff zur Gitarre, hörte Jimi Hendrix und Led Zeppelin und spielte Bob Dylan.
Meine kleinen Depressionen besonders Mitte meiner 20er Jahre ließen mich Zuflucht im Blues finden. Ich konnte mir meinen inneren Blues im stundenlangen Spiel „von der Seele“ spielen. Meine „Karriere“ als Bluesrocker endete erst, als ich Meditierender wurde und einsehen musste, dass mir die lauten, heftigen Schwingungen nicht gut taten und ich zum Leidwesen meiner Band die Gitarre an den berühmten Nagel hängte.
20 Jahre später bekamen meine Gitarre und die Musik einen erneuerten Sinn. Mit Ruth und Volkmar, zwei langjährigen und tief im Herzen verbundenen Schülern und Unterstützern, formte sich während eines gemeinsamen Retreats im Phoolchatti Ashram die Idee, gemeinsam Mantren zu spielen und zu singen. 2009 spielten wir zusammen nur mit Gitarre am Ende eines 7-Tage Vipassanakurses zum ersten Mal das NAMO TASSA, das Mantra der Hingabe an Buddha Dhamma Sangha (3). Ich vertonte den Anfang des Mantras im Herzschlagrhytmus, also im Bluestakt, und war über die Zustimmung der Retreatteilnehmer sehr erfreut.
Nun wurden traditionelle Mantren neu arrangiert und Ruth, Klavierlehrerin, inzwischen Harmonium spielend, und ihr Mann Volkmar - mit Querflöte und Darbouka (4) - begannen, selbst Mantren zu vertonen. Das Universum schickte uns mit Angelika eine himmlische Violine und mit David und Michael zwei Trommler für die Rhythmen des Lebens: “Buddhas Open Heart” war geboren. Der Name entstand im Gedanken an die Beatles, deren „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ sich in mir zunächst in „Buddhas Open Heart Club Band“ formulierte (5).
Die Stille-Retreats behielten die gewohnten Achtsamkeits- und Konzentrationsmethoden, aber sie wurden nun mehr und mehr ein Satsang mit offenem „Sei einfach stilles bewusstes Sein“. Das leichte Yoga und besonders das Mantra-Chanting fanden ihren Raum in den Herzen der Teilnehmer. Die oft etwas trockene Praxis der Theravadaschule verwandelte sich in eine „Buddhistische Lebensschule“, die den Zugang über die Herzensöffnung für ein „Ja zum Leben“ wort-wörtlich, im wahrsten Sinn, betont.
Kann man das „Geheimnis der Mantren“ analytisch erklären? Genügt nicht die Erfahrung, um geistige Wege, die ins Licht führen, einfach zu gehen? Mantren sind Worte, die auf göttliche Eigenschaften oder auf die Fülle des namen- und formlosen Absoluten deuten. Einfach ausgedrückt: Wahre Worte deuten auf den Sinn des Lebens.
Eine kleine Geschichte: Einen 2-stündigen Einführungsabend in die buddhistische Lehre und Meditation mit mehreren Praxisformen hatte ich vor einigen Jahren mit einem Mantra beendet. Bei der Verabschiedung im Eingangsraum des Buddha-Haus München kamen zwei sehr junge Frauen auf mich zu und sagten übereinstimmend: „Das letzte war so schön – kann man nicht nur das machen?“ Was hätte ich sagen sollen? „Wenn das Verstehen des Sinns der Mantren durch die Klänge der Musik und des Gesangs euer Herz für ein reines, inneres Erleben öffnet, ist das ein wunderbarer Zugang. Für das tiefe Verstehen der Bedeutung braucht es jedoch Worte zusammen mit einem tiefen Nachdenken, das dem Gesang vorausgeht. Ihr habt vor dem Mantra-Chanting 90 Minuten Dharma gehört, angeleitete und stille Meditation mit Atembetrachtung geübt, so dass sich die Kraft der Gegenwärtigkeit und Sammlung entwickelt hat und so das Mantra-Chanting euch im Herzen berühren konnte.“ Ist das wahr?
Das kann eine Bedingung sein, muss aber nicht. Allein der Klang der Schwingungen kann dein Herz öffnen, ohne die Worte zu verstehen. Ein Mantra am Anfang einer meditativen Zeit kann und soll durch eine längere Zeit des Wiederholens des „Namen Gottes“ - „Mantra-japa“ - das Loslassen des Denkens an die Welt bewirken, soll reine, transformierende Energien erwecken und in das Sein im Herzen führen für ein beglückendes, friedvolles Erleben und das Erwecken der Erkenntniskraft für transzendentale Einsichten. So wird ein Mantra zum Zugang für Geistesruhe und Einsicht, für „Samatha-Vipassana“-Meditation. So wird Mantra-Chanting ein Zugang für das Eintreten in „Satsang“, in das „Verbundensein mit der Wahrheit“. Wenn sich eine Gemeinschaft „im Sinn“, im „Namen der Wahrheit“ verbindet, entsteht eine wunderbare, tragende Kraft für das Hören und Fühlen „wahrer Worte“ und eine Bereitschaft für einfaches, stilles Sein.
Ist es ein Mysterium, dass heilige Mantren, wiederholt gehört, gesprochen oder gesungen eine tiefe, heilsame, transformierende Kraft im Unterbewusstsein in Bewegung setzen? Nein – es ist eine Erfahrung.
Ist es wahr, dass dich der durch ein Mantra erweckte „Liebes-Strom“ der reinen, schöpferischen Kraft in das Licht, also das Erkennen des „Ozeans der zeitlosen Stille“ führt, aus der er auch geboren wird, - immer Jetzt?
Ist die Essenz der Praxis nicht dieses „Sei einfach still“? Ist nicht jedes Wort nur ein Konzept, ein „Finger der zum Mond zeigt“? Ist da nicht die „Gefahr“ des Festhaltens an der Methode „Mantra-Chanting“? Genügt nicht dieses Aufrechterhalten des einfachen, gegenwärtigen stillen Seins im Gehen, Stehen, Liegen, Sitzen?
Sri Nisargadatta Maharaj sagte zu einem neuen Besucher seines Ashrams, der keine Belehrungen hören wollte, sondern nur in der stillen Gegenwart des Meisters sitzen wollte: „Zuerst Worte, dann Stille – man muss reif sein für die Stille.“
Worte berühren. Eigentlich berühren nicht die Worte, sondern die schöpferische Kraft hinter den Worten.
In der Kraft des Satsangha geschieht die gefühlte Vermittlung der Lehren durch die unsichtbare und unhörbare Kraft der reinen Schwingungen von Herz zu Herz. Die reinen Kräfte hinter den Worten lassen Lehrer und Schüler gleichermaßen Stille und Einsicht erleben. Das ist auch das Geheimnis der gebenden und wohlwollenden Kommunikation „von Herz zu Herz“ in allen Begegnungen mitten im Leben.
Reine Klänge erwecken reine, innere Kräfte und erfüllen wahre Worte mit Leben, erheben Herz und Geist für ein Gefühl des Verbundenseins mit sich selbst und dem gegenwärtigen Leben. Der Ausdruck dieser Erfahrung in einem Schüler: „Ich habe nie in meinem Leben gesungen, kein Lehrer in meiner Schulzeit konnte mich zum Singen bringen, aber hier, in dieser Sangha (6), habe ich angefangen zu singen“.
Musik erweckt die Hingabe an den Augenblick, lässt Vergangenheit und Zukunft zurück und führt in ein inneres, emotionales Erleben.
Bliebe noch die Frage „Welche Musik erweckt welche Emotionen?“
Ein Ergebnis unserer musikphilosophischen Analysen der Teenagerjahre war: „Schwarze Musik lebt vom Rhythmus, weiße Musik lebt von der Melodie. Durch jede Stimme, durch jedes Instrument entsteht Berührung, jede Musik macht etwas mit dir, aber nicht mit jedem dasselbe“.
Welche Worte, Klänge und Schwingungen erwecken schlimmstenfalls Widerstand, zerstörerische Aggressionen und dunkle Ängste, lassen eine „dunkle Gemeinschaft“ entstehen? Welche Worte, Klänge und Schwingungen erheben in die Schönheit der Reinheit bis in die spirituelle Transzendenz und lassen eine „lichte Gemeinschaft“ entstehen?
Spirituelle Musik, ob gehört, gesungen oder getanzt, kann und soll energievolle, auch ekstatische Lebensfreude und Liebeskraft erwecken, oder unmittelbar das Herz öffnen für das Erleben stiller und tiefer Verbundenheit.
Für mich sind Mantren ganz fundamental ein heilender Gesang der Liebe, mitten im Tanz des Lebens. Ob christliche Choräle berühren, oder schwarzer Gospelgesang, ein Sufigesang, Indianertrommeln, östliche Sanskritmantren, oder ein reiner Gedanke, ein gesprochenes wahres Wort, ein Buch oder Stilles Sein in der Natur: Was auch immer das Herz öffnet – kein Unterschied – es ist eine Gnade, einen Zugang in den Weg des Herzens zu finden, in eine natürliche, universelle, zeitlose Spiritualität ohne Angst im Weg in ein Neues Bewusstsein, Hier und Jetzt.
Wohin geht der Weg der Menschheit?
Ich sage gerne: „Das Universum will sich selbst erkennen – durch dich“
„Das Universum will die Liebe leben – durch dich“.
Woher ich das weiß? Ganz einfach: Weil ich diesen Wunsch in mir selbst erkenne...
„Mystik ist kein Mysterium“ war die Überschrift des letzten 7-Tage-Retrats meiner Lehrerin Ayya Khema 1997 im Kloster Niederalteich, drei Monate vor ihrem Tod.
„Es gibt keine richtigen und falschen Wege, es gibt nur ein ungeläutertes oder ein geläutertes Bewusstsein. Meditation bedeutet Geistesentfaltung und ist die Wissenschaft des Geistes“ waren ihre Worte als ein Fingerzeig in eine aufgeklärte Spiritualität der Zukunft mit dem Ziel, das Bewusstsein der Einheit in der ganzen Menschheit zu verwirklichen, in dem jeder sich selbst in allen Formen des Lebens erkennt, das Leben versteht und die Liebe lebt - Immer Jetzt.
„Mantra – das Wort. Ein Zugang in die Transzendenz“ ist mein Beitrag zu dem eben erschienen Buch "Spiritualität der Zukunft: Suchbewegungen in einer multireligiösen Welt", herausgegeben von Christian Hackbarth-Johnson und Martin Rötting. In 31 Beiträgen thematisieren die Autoren des Sammelbandes die Vielfalt der spirituellen Ansätze und Methoden, die heute in christlichen und auch außerchristlichen Kontexten praktiziert und gelebt werden. Besonders stark wird den interreligiösen Einflüssen in der Spiritualität Rechnung getragen. Die meisten Beiträge entstanden aus Vorträgen der Tagung „Spiritualität der Zukunft“, die im Mai 2018 in München stattfand.
Charlie Pils: „Mantra – das Wort. Ein Zugang in die Transzendenz.“ In: „Spiritualität der Zukunft: Suchbewegungen in einer multireligiösen Welt“ von Martin Rötting und Christian Hackbarth-Johnson (Herausgeber), erschienen im EOS-Verlag, Sankt Ottilien 2018 (392 Seiten, Paperback, Preis: 29,95 Euro – ISBN: 978-3-8306-7932-5).
Fußnoten: